Wien feiert das Leben …

Text und Bilder von Jean-Pierre Reinle

Ein kleiner Teil des Wiener «Freiluft-Museums»

… und meldet sich noch lebhafter, moderner und prächtiger als vor der Corona-Krise zurück. Hierzu wartet die laut «Economist» und «Mercer» – alle paar Jahre in Abwechslung mit Zürich – «lebenswerteste Stadt der Welt» mit zahlreich neuen Gründen auf, das Leben an Ort wiederum zu zelebrieren. Wien hat kontinuierlich an seiner Zukunft gearbeitet, wie dies eben in einer Metropole Usus ist. Im grössten Freilicht-Museum der imperialen Kulissen wird permanent Bereicherndes entwickelt: Kunst, Kultur, Wissenschaft, Diversität, Austausch, Architektur und Genuss prägen schon seit Jahrhunderten die Seele dieser Weltstadt! 

Bei Ankunft in derselben beziehen wir unsere Zimmer im grünen Hotel GILBERT am Spittelberg. Dieses fällt bereits von aussen mit begrünter Fassade und im Inneren mit hunderten von Topfpflanzen als Interieur auf. Selbst seine Brasserie entspricht einer grünen Oase, welche demensprechend mit «&flora» benannt ist. Herzlich der Empfang, gepflegt die gemütlich, aber zeitgemäss eingerichteten Zimmer! Nachhaltig, vegetarisch und vegan liegt der  kulinarische Fokus des GILBERT auf orientalischer Küche. Bloss beim Frühstück ist dessen «Crew» noch nicht ganz eingespielt… www.hotel-gilbert.at

Gleich zum Auftakt der Pressefahrt besuchen wir die am 3. Juni inmitten des Wiener Herzens neu eröffnete Heidi Horten Collection. Chefkurator Dr. Rolf Johannsen führt uns durch das völlig neue Museum, welches eine der hochkarätigsten Privatsammlungen Europas beheimatet. Seit 30 Jahren trug die eben erst am 12. Juni 2022 verstorbene Kunstmäzenin Heidi Goess-Horten einen beeindruckenden Querschnitt der Kunstgeschichte von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart zusammen. Werke von hochkarätigen Kunstmalern wie Gustav Klimt, Pablo Picasso, Marc Chagall, Pierre-Auguste Renoir, Joan Miro, Henri Matisse, Paul Klee, Francis Bacon, Niki de Saint Phalle, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, August Macke, Georg Baselitz, Jean-Michel Basquiat, Philippe Bradshaw, Barry Flanagan, Damien Hirst, Claude und François-Xavier Lalanne, Tim Noble & Sue Webster – just to name a few – verdienen selbstredend eine aussergewöhnliche Location. Zwischen einem Innenstadt-Palais und der Wiener Staatsoper gelegen, waren am sog. Stocklgebäude umfangreiche Umbauarbeiten nötig: Die Fassade wurde aufwändig saniert und begrünt, das Innere des Gebäudes komplett ausgehöhlt. 1’500 m2 Ausstellungsfläche auf drei Ebenen bieten genügend Platz selbst für zeitgenössische Kunst, welche nicht zu kurz kommt. U.a. verleiht im sog. «Tea Room» ein samtig tiefrotes Deckenrelief Hans Kupelwiesers eine prunkvolle und fantastische, aber keineswegs überladene oder gar kitschige Atmosphäre.

Tiefrotes Deckenrelief von Hans Kupelwieser

Es erinnert in seiner Funktionsweise vielmehr an Fresken in barocken Palais- und Schlossbauten. Denn im Zusammenspiel mit der von Markus Schinwald entworfenen Möblierung, der Wandgestaltung und den speziell für den Raum gewebten Tapisserien ergibt sich ein Gesamtkunstwerk von zeitgenössischer Anmutung.

So ist etwa im weit ausladend selben 1. Stock des nunmehr imposanten Kunstgebäudes die nicht nur dank ihrer Höhe von 6,22 Metern hohe, aus 24 Posaunen geschaffene und in einer Ecke errichtet eindrückliche «Soundskulptur» nicht zu übersehen. Constantin Luser gestaltete diese «als weibliches Pendant zu seinem im Jahre 2008 entstandenen Vibrosaurus» aus poliertem Messing. Die Skulptur funktioniert nicht nur optisch, sondern auch akustisch dank ihrer Bespielbarkeit, mit welcher der vorerst visuelle Eindruck in eine hörbare Dimension transferiert werden kann und Betrachtende zu einem Teil des überzeugenden Kunstwerks werden lässt.

«Soundskulptur» von Constantin Luser

Zeit ihres Lebens liess Heidi Goess-Horten ihre Philosophie als Sammlerin lauten: «Ich würde von mir selbst sagen, dass ich ein Augenmensch bin; wenn ich ein Kunstwerk sehe, weiss ich auf den ersten Blick, ob dieses für meine Sammlung in Frage kommt. Aus den oft aus dem Bauch heraus getätigten Ankäufen hat sich schliesslich eine umfassende Sammlung entwickelt, die jedenfalls meinen persönlichen Geschmack widerspiegelt.» Und zu Ihrem Hauptanliegen: «Ich wünsche mir, dass der Besuch meines Museums den Menschen die angesichts der digitalen Entwicklungen verloren geglaubte Atmosphäre eines Originals wieder näherbringt.» Treffender könnte dies wohl niemand ausdrücken!

Welcome Dinner im Chez Bernard…

Dieses wird zunächst auf dessen Dachterrasse mit herausragend erfrischenden Cocktails zelebriert. Es sorgt für Pariser Flair inmitten von Wien und befindet sich hoch oben auf dem Dach eines historischen Gebäudes aus den 1870-er-Jahren. Für besondere Ambiance sorgen d’rinnen gemütliche Sitzecken, viel Grün sowie eine imposante Kuppel über der Bar, von welcher üppige Topfpflanzen von der Decke hängen. Zur Vorspeise bestellten zwei unserer Gruppe im Bierteig frittierte Zucchini-Blüten zu einer leichten Vinaigrette, was geschmacklich eine begeisternde Kombination ergab: Absolut empfehlenswert! Das nachfolgende Wiener Schnitzel aus dünn geschnittenem Kalbfleisch vermochte hingegen nicht ganz zu überzeugen, da dessen Panade sich vorschnell undblättrig vom Kalbsschnitzel d’rinnen verabschiedete… Sehr lecker dann jedoch wiederum die «millefeuille» mit Erdbeeren des Hauses zum Dessert! Mithin ein höchst ansprechendes Etablissement aus Dachterrasse, Bar, grosszügig angeordneten Tischen, bei welchen niemand die anderen Gäste stört. www.hotelmotto.at/chez-bernard

Im Bierteig frittierte Zucchiniblüten zur Vinaigrette
Millefeuilles mit Erdbeeren als Dessert.

Celebrate the Arts…

…lautet das Motto des d’rauf folgenden Vor- und Mittags, dem von Guide Alexa Brauner geführten Stadtspaziergang durch die Wiener Galerielandschaft. Mit erster Station besuchen wir dabei die betagtere Kunstmalerin Nancy Haynes aus den USA, welche in ihrer Galerie dutzende an gleichformatig kleinen Schwarz-/Weiss-Bildern hängen hat. Es handle sich dabei um bildnerische Interpretationen von Persönlichkeiten wie Virginia Woolf, Samuel Beckett, Lucy Lippard und weiteren, wie sie dazu anmerkt. Den Zugang zur Kombination von darstellender Kunst und Literatur vermögen darin allerdings nicht alle unserer kleinen Gruppe zu erkennen. Denn angesichts der sich nur marginal unterscheidenden Mini-Gemälde fragen wir uns, ob jeweils dahinter stehender Sinn und Aussagen von Nancy dazu vorher wohl überlegt oder ganz einfach nach Abschluss einer der nahezu identischen Werke hineininterpretiert werden. Auch vermag der Autor dieser Reportage darin nur wenig investierte Zeit zu erkennen, in seinen Augen gestaltet es sich die «Künstlerin» vielmehr allzu einfach damit.

Eines der Dutzenden austauschbarer Bilder von Nancy Haynes.

In der daran anschliessend besuchten Christine König Galerie werden wir an den «Summer of Love ‘55» erinnert, welcher mit Pop-Art 1967 die ersten grossen politischen Proteste junger Menschen gegen den Krieg in Vietnam thematisiert. Begleitet auch vom Ausbruch damals neuem populären und subkulturellen Sound etwa von Velvet Underground mit Lou Reed, John Cale und Angus MacLise sowie Scott McKenzie («San Francisco», 1967). Es war die Zeit des zivilen Ungehorsams, Antiautoritarismus, politischen Protests und der «Flower Power». Der politische Aktivismus führte zu soziokulturellen und alternativen Lebensstilen mit sexueller Freiheit, Kommunen, gemeinsamem Eigentum und so fort.

Es folgt die überzeugende Galerie Krinzinger mit Kunstbildern von Radhika Khimjis, die in Oman aufgewachsen ist und heute in London lebt. Ihre Werke entstanden ursprünglich als Malerei in Oel oder Gips auf Holz: Auf Grund von Collagen mit Fotofragmenten schuf sie Darstellungen, welche sich zwischen Körper und Landschaft bewegen. Wie sie dazu selbst ausführt, seien diese eine Art «Rorschach-Test des Narzissmus» in Anspielung auf menschliche Neigung zum Anthropomorphen, mithin auf die Art und Weise, wie wir gerne alles als Wiederspiegelung unserer Selbst sehen. Nach ursprünglich bewusst unfertigen Gemälden behalten die später angepassten und vollendeten Kunstwerke ein Oszillieren zwischen Körper und Landschaft bei, sind jedoch selbstbewusster und komplexer geworden. Mit ihren an- und übereinander gestapelt, aneinander gelehnten und von der Decke hängenden Arbeiten wird der Raum der Betrachtenden zum zentralen Punkt der Erfahrung des Ausstellungsbesuchs.

Die eindrückliche Retro-Lift-«Anschrift» früherer Tage.

Unter dem Titel «Licht in der Dunkelheit» sprechen uns an Ort überdies die attraktiven «liminal spaces»-Gemälde von Eva Schlegel an, welche ideal mit dem Skulpturen von Van Lieshout des Ateliers selben Namens interagieren. Letztere begeistern mit reflektierenden, sich bei nahem Anblick in sich selbst vervielfachenden Skulpturen aus geschliffenem Metall und Glas: Besuchende können sich darin auf verschiedenen Betrachtungsebenen wiederfinden, werden aber auch vom Gefühl eingeholt, sich kurz vor Absturz ins Bodenlose zu befinden… 

Faszinierende Skulpturen von Van Lieshout.

Im «Bootshaus – Alte Donau»…

…nehmen wir direkt am berühmten Fluss selben Namens von Wien das Mittagessen ein. Das Naherholungsgebiet der besonderen Art liegt nur sieben U-Bahn-Stationen vom Stephansplatz entfernt. Inmitten dieser Freizeitoase wird das Bootshaus vom Café Landtmann mit mediterranen Speisen betrieben, welche rustikal zu munden vermögen. So neben bunten und je nach Wahl mit gebratenem Ziegenkäse, gegrilltem Huhn oder Oktopus angereicherte Salate; Mini-Kartoffel-Gnocchi an Pecorino Romano, schwarzem Pfeffer, Parmesanspänen und eingelegtem Sommertrüffel; Suprême vom Huhn mit Beilagen und Mayo-Auswahl oder Riesen-Gambas mit «Pommes»; zum Dessert Apfelstrudel, Erdbeer-«Stanitzel», Summer Cheesecake, usw.. www.dasbootshaus.at

Und da wir uns schon an der Alten Donau befinden, lädt eine angenehme Bootsfahrt zur Verdauung des eben Verspeisten auf diesem beschaulichen und breiten Fluss ein. Das zentral gelegene Freizeitparadies ist ein ruhiges Gewässer, welches für jeden Geschmack etwas zu bieten hat und auch von den Wienern gerne in Anspruch genommen wird. Der Kontrast zwischen angrenzender Stadtlandschaft und Idylle des ehemaligen Donauarms ist besonders reizvoll. Rund 500 Ruder-, Elektro- und Tretboote sowie eine Art «schwimmender Inseln» mit attraktiven «Sofas» d’rauf warten auf Ausflügler aus aller Welt. Speziell beliebt ist der Fluss auch unter Seglern, denn hier fand die erste Segelregatta auf einem österreichischen Gewässer statt. Zudem sind Wiens Wasserstrassen beim Stand-Up-Paddling aus einer ganz neuen Perspektive zu erleben. 

Exklusives Dinner in der SATTLEREI

Während des letzten Lockdowns hatte die Sattlerei bereits als kleines Lebensmittelgeschäft mit Take-Away eröffnet. Seither folgte das luxuriöse Restaurant auf dem Fusse. Zwar ist die Heinestrasse im 2. Bezirk als vormaliges Rotlicht-Viertel ein etwas unüblicher Ort für ein «Fine-Dining-«-Lokal erster Klasse, aber hier wird bewusst der Kontrast dazu inszeniert. Obwohl Küchenchef Lewis Emerson Engländer ist, liegen an Ort – einmal abgesehen vom englisch inspirierten Frühstück – die österreichische und französisch-/italienisch-asiatische Fusion-Küche im Fokus. So können wir hierzu etwa als Entrée ein sensorisch begeisternd «dekonstruiertes Tomaten/Mozzarella-Salätchen», gefolgt von weiteren, enorm mundenden Kreationen verkosten. Als Familienbetrieb liegen dem nicht nur überaus sympathisch edle Wein-Abfüllungen des Hauses präsentierenden Jürgen Sattler – als vormaliger Banker ist er Quereinsteiger in der Gastronomie – ganz besonders Nachhaltigkeit und biologische Rohprodukte am Herzen. www.diesattlerei.at

Weinbau innerhalb der Stadtgrenzen

Nebst Paris ist Wien die zweite Metropole weltweit, welche innerhalb der Stadtgrenzen nennenswerten Weinbau betreibt: 700 Hektaren Weingärten prägen das Stadtbild und seine Genusskultur. Hier hat Weinbau eine lange Tradition. Weissweine werden auf rund 80 Prozent der Rebflächen angebaut, worunter dem sog. «Wiener Gemischten Satz» als Spezialität grosse Bedeutung mit fein ausbalanciert süffiger Säure und wenig Restzucker zukommt. Heutzutage präsentiert sich Wien als Stadt mit lebhafter Weinszene. Dieser wird in zahlreichen Stadtlokalen und am Stadtrand bei sog. Heurigen genossen, die Wein aus Eigenanbau und hauszubereitete Köstlichkeiten am Buffet bieten. Wobei die Wiener Heurigenkultur seit 2019 sogar zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO gehört. 

Buchstäblich ins Wasser fällt dann jedoch leider ein geplant gewesen gemütliches Wandern in Wiens Weinbergen: Selbst in dieser Götterstadt ruft die Natur hin und wieder nach Regen… Dafür werden wir nach dem Beine-und-Füsse-Vertreten mit Schirm, Charme oder Melone mit dem Lunch-Besuch beim Wieninger am Nussberg, dem Heurigen mit dem schönsten Ausblick auf Wien und in unmittelbarer Nachbarschaft des Museums zu Ludwig van BEETHOVEN verwöhnt: Zweifellos ein Wohlfühlplatz, in dem jede/r herzlich willkommen ist. Der Familienbetrieb bietet biodynamische Weine der beiden Weingüter Wieninger und Hajszan Neumann sowie – auch vegetarisch kalte Schmankerln von heimischen, erstklassigen Produzenten in bester Qualität. www.wieninger-am-nussberg.at

Abendessen bei NENI am Prater

… Mit dem jüngsten NENI Restaurant der europaweiten Gruppe bietet diese System-Gastronomie eine optimale Aussicht auf den Vergnügungspark Wiener PRATER. Im Rooftop-Restaurant mit Riesen-Terrasse wird orientalische Weltküche aufgetischt, und auch dieses wird von Unternehmerin und Multigastronomin Haya Molcho und ihren drei Söhnen betrieben. Küchenchef Andy Barotanyi und Haya Molcho haben gemeinsam das Speisenkonzept entwickelt: Kalte Speisen werden täglich authentisch sowie Sauerteigbrot und Focaccia in hauseigener Bäckerei zubereitet und warme Speisen auf offenem Feuer gekocht. Bei unserem Besuch war der Betrieb von Gästen aller Altersgruppen hoch-frequentiert, was dank lebhafter Atmosphäre mit unverbauter Aussicht auf den Prater, schmackhaften Gerichten sowie aufmerksamem und sympathischen Service immer so sein dürfte! www.neni.at/restaurants/prater/

«Ihr Rückflug wurde gecancelt»…

…oder «es tut uns leid, aber wir mussten Ihren Rückflug wegen mangelnden Personals auf die Zwischen-Destination VENEDIG umbuchen», so und ähnlich die SMS-Nachrichten von VIENNA Airlines, welche wir alle erst am Abend VOR dem anderntags geplanten Rückflug nach Zürich erhielten. Als Vielflieger immerhin einigermassen ungewohnt, aber stattdessen wurde uns von Oesterreich-/Wien-Tourismus die Option per Bahn im 1.-Klasse-Abteil retour bezahlt: Dauert zwar «nur» ein paar Stunden länger, «aber wenn eine/r eine Reise tut, dann kann sie/er bekanntlich ‘was davon erzählen!», nicht wahr?…